Teilprojekt 07
El peregrino en su patria. Recodierungen von ‚alt‘ und ‚neu‘ in der ‚novela de peregrinación‘ des Siglo de Oro
Prof. Dr. Anita Traninger (Institut für Romanische Philologie, Freie Universität Berlin)
Das Projekt nahm seinen Ausgang von der Beobachtung, dass sich im 16. Jahrhundert in Spanien ein Gefüge von narrativen Prosagattungen herausbildet, in dem die sogenannte novela bizantina eine besondere Position einnimmt. Im Rückgriff auf den hellenistischen Roman ist es, so die These des Projekts, Lope de Vega, der das von Heliodoros von Emesa und Achilleus Tatios überlieferte Muster in novatorischer Weise transformiert: Lope de Vegas Roman El peregrino en su patria (1604) kam eine entscheidende Rolle in der Herausbildung der sogenannten novela bizantina zu. Seine Leistung bestand in der Rekonfiguration der Gattung durch die nicht-idealisierende Behandlung zeitgenössischer spanischer (und nicht exotisch- fremder) Wirklichkeit im generischen Schema des griechischen Liebes- und Abenteuerromans. Das zeitgenössisch-Neue rückte mithin an die Systemstelle des exotisch-Fremden; zugleich fand eine poetologische Debatte über den hellenistischen Roman statt, der mit der Wiederentdeckung der Heliodorischen Aithiopika zugleich als Novität und als durch Anciennität ausgezeichnetes Schema vorlag. Dieses Schema erfuhr zudem durch die kreative Anverwandlung, die insbesondere Lope leistete, eine entscheidende Novation. Gegenstand des Teilprojekts sind mithin Recodierungsphänomene von ‚alt‘ und ‚neu‘ in der spanischen Prosaliteratur des Siglo de Oro auf mehreren, komplex ineinander verschränkten Ebenen. Hiererweist sich deutlich der Vorzug des methodischen Zugriffs der Forschungsgruppe: indem ‚alt‘ und ‚neu‘ nicht essentialistisch, sondern funktional und relational bestimmt werden, lässt sich die Problematik der Autorität durch Anciennität bei gleichzeitiger Novität durch Wiederentdeckung und Rekonfiguration fassen. Indem das Gattungsschema des hellenistischen Romans als Muster wirksam wird, nimmt es klar die Systemstelle des ‚Alten‘ ein; indem es als narrative Prosagattung keinen Ort in der aristotelischen Systematik hat, ist es zugleich im Rang des ‚Neuen‘; und indem es im Zuge der imitatio/aemulatio in Spanien um 1600 nochmals neu konfiguriert wird, weist die Fragestellung eine dritte Dimension des Verhältnisses von Novation und Konvention auf. In der zweiten Förderphase sollen die frühneuzeitlichen Übersetzungen des Peregrino den Ausgangspunkt für eine Untersuchung der europäischen Transpositionen und Transformationen des hellenistischen Schemas bilden. Eine zweite Untersuchungsachse wird eine Einordnung Lopes und insbesondere seines Peregrino in europäische Praktiken der Gelehrsamkeit darstellen. Noch stärker als zuvor angenommen hat sich in der ersten Förderphase erwiesen, dass Lopes Peregrino an einem europäischen Netzwerk partizipiert, und zwar auf zwei Ebenen: zum einen schreibt Lope sich in die Tradition des Verarbeitens von loci communes ein, zum anderen wird sein Roman Gegenstand des nachgerade atemlosen Übersetzens von Prosaromanen zwischen den europäischen Sprachen, das Aufschluss gibt über implizite und explizite Gattungskonzeptionen.